Der Säbelzahntiger namens Corona .einspunktnull
- jcweyhe
- 18. Juli 2021
- 6 Min. Lesezeit

Vor einiger Zeit fing es an fast unauffällig durch die Medien zu streifen... Hier und da tauchte eine Schlagzeile auf, in der von einer mysteriösen Krankheit die Rede war. Spätestens im Januar 2020, als das Video vom schwerkranken Arzt durch alle Plattformen surfte, war es dann aber bei jedem, der Nachrichten verfolgt, angekommen.
Immer noch wurde die Krankheit heruntergespielt. Erste Fälle waren schließlich schon im September 2019 in den Medien aufgetaucht und bisher war ja nichts Schlimmes passiert. Ich muss sagen, dass mich die Bilder des Arztes – an Sauerstoffschläuche angeschlossen – schon nachhaltig beeindruckt haben. Und mir durchaus die Frage stellte, was sich da jetzt schon wieder auf den Weg gemacht hat… Es war ja nicht zum ersten Mal eine bedrohliche Krankheit erkannt worden.
Auch ich selbst war noch im November 2019 um die halbe Welt gereist, offensichtlich hatte ich mir nichts eingefangen, aber inwiefern bin ich dem nur knapp entgangen? Das werde ich natürlich nicht herausfinden.
Was ich aber zwischen Januar und Ende März 2020 zum ersten Lock down light (und danach natürlich immer wieder) herausfinden konnte war, wie unglaublich schnell Menschen (wir alle!) den Boden unter den Füßen verlieren. Eine Mischung aus „ich brauche Regeln, etwas dem ich folgen kann – denn sonst sterbe ich“ und „oh wow, wirklich? Darf man mich einfach so beeinträchtigen?“
Beides ist in gewisser Weise komisch. Zugegeben mit Galgenhumor… denn die, die die Regeln brauchen, sich an etwas festhalten müssen, für alles eine Erlaubnis benötigen, diejenigen haben tatsächlich oft sofort Familie, Freunde, nahe stehende Personen aus ihrem Umfeld abgewimmelt. Sie haben voller Überzeugung gesagt, dass diese Verbindungen sie anstecken und somit umbringen könnten. Ich möchte an dieser Stelle nichts ins Lächerliche ziehen. Diese Angst war und ist sehr real und schon alleine aus dem Grund unglaublich ernst zu nehmen.
Die andere Seite, die die sich der Beeinträchtigung näher fühlten, ist natürlich genauso ernst zu nehmen. Sie haben versucht Anschluss zu finden. Sofern sie nicht in einem festen Familien(ähnlichen)haushalt leben, irgendwo „anzudocken“. Diejenigen, die dies ohne Erfolg immer wieder versuchten, hatten und haben es bestimmt recht schwer in dieser zähen Pandemie, oder? Immerhin zwangen Abstandsregeln und das Verbot von Gruppierungen jeglicher Art doch zum allein sein…und dennoch: in Wirklichkeit ist es doch das Gleiche, nur unterschiedliche Ansätze mit dem gleichen Resultat: man hat Angst – vor Krankheit, dem Tod, Einsamkeit und/oder mangelnde Wertschätzung - zurückzubleiben. Ohne Frage kam bei vielen Themen auf, die uns alle beschäftigen. Jeder hatte und hat seine Pakete, die zum Vorschein kamen und nun plötzlich betrachtet werden wollten.
Der Spagat zwischen dem vermeintlich freien, demokratischen Land, in dem man die Bewohner nicht wirklich wegsperren darf und eine gescheite Bearbeitung der Herausforderung einer unkontrollierbaren Pandemie hat unsere Politiker sicherlich vor eine große, schwere Zugbrücke gestellt. Den Mechanismus zum Lösen dieser wurde nur bis jetzt von keinem gefunden. Und so steht man in dieser Burg, unfähig den Burggraben zu bezwingen oder zu überqueren.
Es wurden Schulen und Kitas geschlossen, Homeoffice wurde eingeführt – da wo es möglich war. Erstmal keine Maskenpflicht(!), keine kostenlosen Tests. Ich erinnere mich, dass zu Beginn davon die Rede war, dass die Labore der Woche maximal 200.000 Analysen schaffen – 4 Tage brauchten sie für Ergebnisse. Wertvolle Tage, in denen die Krankheit ggf. weitergetragen wurde. Und trotzdem: die Ansteckungsrate war wesentlich geringer als heute, na ja, zumindest die Zahlen. Über den Sommer kehrte etwas Ruhe ein, so als müssten alle erstmal im Sommerurlaub „verschnaufen“.
Und dann sah man schon deutlich die nächste Welle ankommen, aber an statt direkt Maßnahmen zu ergreifen, wurde Ende September 2020 / Anfang Oktober formuliert, dass man doch die Herbstferien aller Bundesländer abwarten sollte, bevor wieder alles geschlossen wird. Hat das jemand mitbekommen? Leider reichte es nicht ganz bis zum 8.11. – der nächste Lockdown kam ab dem 2.11.
Jeder, der das hier liest, wird seine Emotionen hierzu haben. Zu nah ist dieses Revertigo, man braucht nicht einmal einen Geruch, um sich an diese Zeit zu erinnern.
Und der Grund, dass ich etwas aushole ist, dass viele Dinge parallel passiert sind: Während der Mensch versucht hat, sich irgendwie mit der lebensbedrohlichen Angst wieder auf die Füße zu stellen, wurde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen in dem bekannte Gewohnheiten nicht mehr möglich waren, teilweise sogar noch immer nicht möglich sind. Gleichzeitig lief trotzdem ein gewisser Alltag weiter, der neu erfunden gestemmt werden musste und das alles ohne wirkliches Verständnis füreinander. Die Menschen haben sich voneinander entfernt, ob nun zusammen oder alleine, die zuvor bekannte Nähe ist durch Abstandsregeln und irgendwann unterstützt durch die Masken abgelöst worden. Und auch das folgende gehört in diese Kategorie: die Situationen des Homeschooling und der Kitaersatz in beengten Wohnungen ohne Außenfläche mit gleichzeitig gesperrten Spielplätzen.
Dazu ein Gegensatz: denn auch Online Meetings entstanden, Zeitersparnis, weniger Verkehr auf den Straßen hat die Luft klarer gemacht und die Erde sich in vielen Teilen regenerieren dürfen. Die Künstler blieben kreativ. Theater und Musik geht plötzlich unter freiem Himmel, teilweise entspringt eine Bühne direkt neben einem, wenn man durch die Stadt geht. Viele Menschen haben die Natur für sich entdeckt. Man muss gar nicht so weit –womöglich um die halbe Welt - um eine beeindruckende, vom neuen Alltag entfernte Umgebung zu besuchen. Alles was man bisher nur unter dem bis dahin erfahrenen Alltagsstress kannte, wurde nun mit neuen Augen gesehen.
Bevor es weitergeht, erinnere ich noch einmal daran, dass es für jeden eine neue Situation war.
So, und jetzt? Der Mensch braucht Regeln und Rituale. Das ist Gesund und darf nicht unterschätzt werden. Nicht umsonst haben sich Familien zusammengetan, Freundeskreise Alternativen zum sozialen Umgang gefunden und viel Erfindungsgeist angewandt, der die Regeln befolgte, aber trotzdem eine Schlupftür zuließ. Und wieder ein vermeintlicher Gegensatz: viele haben sich trotzdem Einsam gefühlt. Trotz Gesellschaft. Obwohl sie nicht allein waren.
Widerspruch? Keineswegs. Das gesunde Maß ist nicht extrem. Und das gesunde Maß ist nicht von Angst getrieben. Eigene Entscheidungen aufgrund dessen zu treffen, dass man selbst recherchieren und abwägen darf – beschützt, wie Kinder von ihren Eltern im besten Fall beim Erkunden der Welt. Sobald wir dies nicht mehr dürfen, weil uns lebensbedrohliche Umstände keine eigenen Entscheidungen mehr treffen lassen, wird es extrem und dementsprechend ungesund.
Nicht nur wir in Deutschland, sondern die ganze Welt wird von Angst beherrscht. Und Angst ist ein mächtiges Mittel, um Lebewesen in Schach zu halten. Das kann dich, jeden von uns, jedes Tier, jede Pflanze und die Erde an die Grenzen bringen. Einschlägige Literatur erzählt schon sehr lange davon.
Ich habe letztes Jahr im November online einen Vortrag gesehen, der für mich unglaublich nachhaltig war. Ich gebe es mal kurz und knapp weiter: Angst ist ein Zustand, der mit Stress gleichzustellen ist. Die chemischen Abläufe in unserem Körper sind (zugegeben bewusst einfach gesagt) wie folgt: es wird Adrenalin freigegeben, das uns als denkende, abwägende Lebewesen in den Zustand der instinktiven Reaktion versetzen soll. Ziel ist es, sich innerhalb kürzester Zeit – Millisekunden – dazu zu entscheiden, ob man bei Flucht oder bei Kampf überleben wird und dann in die entsprechende Entscheidung überzugehen. Auch bekannt als „Flight oder Fight“. – Nicht lang Schnacken…usw.
Stress ist also nur für einen Moment gemacht. Der Körper soll sich in einer bedrohlichen Situation ohne Wenn und Aber unverzüglich in eine sichere Umgebung flüchten können. Beispielsweise als unsere Vorfahren von einem Säbelzahntiger angegriffen wurden. Oder wir heute plötzlich beim Wandern einem Bären gegenüberstehen. Jeder kennt das Glücksgefühl, seine Angst überwunden und entsprechend „überlebt“ zu haben. Das ist sozusagen das Leckerli am Ende, weshalb alle Lebewesen sich grundsätzlich auf diese „Flight oder Fight“ Situationen einlassen: das gute Gefühl hinterher. Die eben noch empfundene Angst und anderer gelebter Stress wird hierdurch abgelöst, man kommt wieder zur Ruhe.
Ich bleibe mal beim Säbelzahntiger. In der Welt vor Corona, Covid 19 oder nur als einer der Unterkategorien in Varianten formuliert, hatten wir die Säbelzahntiger bereits durch Chefs, (Ehe-)Partner, andere Menschen, Zeitdruck, Hetzen, Freizeitgestaltung – also einem ständigen Rauschen „ausgetauscht“. Dieser Dauerstress schwächte bereits unser Immunsystem, wir waren bereits anfälliger für Krankheiten – aber wir schafften es, uns immer wieder zwischendurch ein besänftigendes Leckerli zu geben.
Dann kam der Säbelzahntiger namens Corona.
Mit einem Mal hatten wir es nicht mehr in der Hand uns von dem Dauerstress zu befreien. Wir wurden immer wieder gebeten uns doch noch etwas länger zu gedulden. Es wurde zu einer Spirale – der selbstgemachte Stress zuvor wurde von dem Stress Angst abgelöst. Kein Leckerli in Sicht, auch, weil das nun nicht mehr in der eigenen Hand lag. So sind die Bestätigungen „im Außen“ nicht mehr vorhanden und man muss es irgendwie aus sich selbst heraus kreieren.
Aber ganz ehrlich, wer kapiert das schon – gerade aus dem gewohnten Umfeld gerissen. So viel Selbstfindung ohne die gewohnten Rituale. Wertschätzung aus einer regellosen Situation heraus zu kreieren. Und dann überschattet die Angst das alles auch noch. Es gibt sogar genug Zeit, die alten Wunden aufreißen zu lassen, nicht nur die Angst vor der Pandemie, sondern auch andere werden frei. Die Politik, die unsere geliebten Rituale einfach eingestampft hat – auf unbestimmte Zeit, aber eben drum, es ist nicht klar, wann wir unsere Leckerli wiederbekommen. Man steht vor der Zugbrücke und sucht nach dem Knopf. Man ist ja nicht untätig. Klingt ironisch oder sarkastisch? Tatsächlich soll es das Bild der Ablenkung darstellen. Es wurde vermutlich gar nicht in dem Moment erkannt, was die ganzen zähen Entscheidungen in der Gesellschaft verursacht haben. Stell dir vor, genauso wie dir dein Alltag genommen wurde, so wurde dieser doch auch allen anderen genommen.
Jeder hat seinen ganz persönlichen Säbelzahntiger namens Corona, den es zu bezwingen gilt.
sommer 2021




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